Ein Fall aus der Praxis: Agilität ist nicht alles, aber alle handeln agil
Von Jürgen Nehler, HLP Berneh
Die Vertreter des klassischen Managements schwören auf einen gut definierten Strategieprozess. Davor steht die Findung von Vision und Mission für das Unternehmen. Es werden Ziele, definiert, auf Jahresscheiben heruntergebrochen und in Maßnahmen gegossen. Dieses war viele Jahre anerkanntes Management-Wissen. Berater und viele unternehmensinterne Abteilungen haben sich ausführlich damit beschäftigt, Theorien und Praxisbeispiele dazu erarbeitet. Und plötzlich soll all dieses nicht mehr gelten, nur weil angeblich heute alles schneller und intensiver sich verändert, noch unberechenbarer die Trends sind und das Risiko einer Fehlentscheidung permanent steigt?
Einen Ausweg scheint man gefunden zu haben im sogenannten agilen Management. Woher kommt der Begriff? Er stammt aus dem Projektmanagement in der Softwareentwicklung. Je nach Methode geht man in Etappen (Sprints bei Scrum, Design Thinking etc.) voran. Ein Projektowner definiert, ob die Anfangsziele und die erreichten Ergebnisse noch passfähig sind. Dabei werden stetig veränderte Anforderungen mit einbezogen. Es gibt relativ strenge Regeln in Organisation und Vorgehensweise. Ziel ist eine möglichst optimale Abdeckung der Kundenbedürfnisse (Kundenwünsche) bei möglichst optimierten Aufwand in Zeit und Ressourcen.
Was bedeutet eigentlich „agiles Management“?
Ein wesentlicher Bestandteil ist die Kundenorientierung. Da stellt sich zuerst die Frage, wer ist der Kunde!?
Hier bieten sich einige Optionen an:
- Zuerst die Kunden des Unternehmens, dann aber auch
- Die Stakeholder
- Das obere Management
- Die Mitarbeiter
- Andere Abteilungen etc.
Die Antwort kann in einem Unternehmen von den einzelnen Organisationseinheiten sehr unterschiedlich gegeben werden. Die Kundenbedürfnisse und –Erwartungen sind aber ein wesentlicher Baustein bei der Zieldefinition. Diese Fragestellung ist die wichtigste überhaupt.
Die Ziele des Managements und damit der gesamten Organisation sollten immer auf die Vision des gesamten Unternehmens und die Erfüllung seiner Mission ausgerichtet sein. Die Erarbeitung und Formulierung dieser beiden entscheidenden Themen im oberen Management allein reichen nicht aus. Alle Mitarbeiter und Manager im Unternehmen müssen sie kennen und möglichst verinnerlicht haben. Hier unterscheidet sich agiles vom „klassischen“ Management fast gar nicht.
Agiles Management bietet nun die Möglichkeit, auf die sich rasant ändernden Umweltbedingungen adäquat zu reagieren. Besonders bei Change-Prozessen zeigen sich die Vorzüge agilen Managements.
Dabei wird in klassischer Vorgehensweise der Weg (die Zeitspanne) zum geplanten Ziel in Etappen untergliedert. Diese stellen Zwischenziele dar, welche in Ergebnis und Zeit definiert werden. Im Rahmen einer solchen Etappe müssen beschlossene Maßnehmen zeitnah umgesetzt werden.
Ist das Etappenziel erreicht, kann das darauf folgende angegangen werden. Dabei kommt es auf zwei wesentliche Faktoren an:
- Das bisher Erreichte muss entsprechend gewürdigt werden,
- Eventuelle Abweichungen bewertet und
- Es muss geprüft werden, ob sich Rahmenbedingungen (Markt, Kundenbedürfnisse, Umwelt etc.) verändert haben.
Treten Veränderungen auf oder wurden die Etappenziele nicht erreicht, so müssen die nächsten Etappenziele entsprechend angepasst werden. Innerhalb einer Etappe ist die Änderung keine gute Idee. Das nächste Etappenziel muss nun entsprechend den Unternehmenszielen und ‑Werten ggf. neu definiert werden. Hier kommt die Stärke des agilen Managements zum Tragen, nämlich dass ohne die Ziele aus den Augen zu verlieren, eine Berücksichtigung der sich schnell ändernden Bedingungen möglich ist.
Die Praxis
Wie schwierig der Umgang mit Methoden des Agilen ist, soll ein Beispiel aus der Praxis zeigen.
Die Anlagenbau GmbH (Name geändert) hat drei Unternehmen zusammengeführt. Ziel ist es, durch die Hebung von Synergien Profitabilität und Marktpositionierung zu verbessern. Nach dem formalen Zusammenschluss beginnt die eigentliche Arbeit der Integration zu einem Unternehmen. Dabei soll ein Unternehmensteil sich neuen Märkten zuwenden, da die angestammten Marktsegmente nicht profitabel genug sind. Zur Unterstützung wird das oberste Management erweitert um zwei Geschäftsführer aus den eigenen Reihen.
Obwohl auf dem ersten Blick ein klassischer Change-Prozess, drängt sich die Nutzung agiler Methoden geradezu auf aber man startete klassisch mit entsprechenden Strategieentwicklungen und der Festlegung von daraus abgeleiteten Maßnahmen. Die Mitarbeiter wurden informiert und in vielen persönlichen Gesprächen über ihre neuen Rollen diskutiert. Doch nach kurzer Euphorie geht nichts mehr voran.
Was war passiert?
Es stellte sich heraus, dass die neuen Rollen, welche das Tätigkeitsfeld der Mitarbeiter grundlegend ändern nicht gelebt werden. Nahezu alle arbeiteten in ihrer alten Rolle weiter, mit der Begründung, dass schließlich das Tagesgeschäft erledigt werden müsse. Es gilt der Spruch: Davon leben wir!!
Die Erwartungen von Management und Mitarbeitern klafften immer weiter auseinander. Änderungen auf dem Markt des Unternehmens und des Zuliefermarktes verschärften die Situation zusätzlich. Besonders kritisch war der Verlauf in dem Unternehmensteil, welcher sich neuen Märkten zuwenden sollte.
Eine Analyse ergab, dass schon das erste Etappenziel nicht sauber definiert und auch nicht erreichbar war. Ein Grund war auch, dass dieses Ziel zu weit in der Ferne lag. Es fehlte am konsequenten Handeln und vor allem Umsetzen.
Die Lösung beginnt mit der Frage: Kann agiles Management in einer solchen Situation helfen?
Zuerst wieder muss die Frage beantwortet werden, wer ist in diesem Fall der Kunde.
Das Management sollte in diesem Kontext die Mitarbeiter als zentralen Kunden betrachten. Deren Erwartungen und Bedürfnisse spielen für den Erfolg des Change eine entscheidende Rolle.
Der Unternehmensteil selbst muss die Bedürfnisse vor allem im neu zu definierenden Markt berücksichtigen, wie auch die Vorgaben des Gesellschafters.
Nachdem darüber Klarheit herrschte, wurden die Erwartungen der Gesellschafter in handhabbare Zielgrößen umformuliert (Umsatz, Ertrag, Hitrate etc.). Das Ziel sollte in kurzen (zeitlich) Etappen angegangen werden. Dies hat den Vorteil, dass nach Abschluss einer jeden Etappe gelerntes und erreichtes für die nächste Etappe genutzt werden konnte. Insbesondere wenn neue Märkte anvisiert werden, gilt es die Methoden und Produkte den ständig wachsenden Erkenntnissen über das Marktsegment anzupassen. Kleine Erfolgserlebnisse verbessern die Motivation der Mitarbeiter, so dass der Change Prozess selbsttragend werden konnte. Auf Marktveränderungen und die Erfahrungen der Mitarbeiter aus der vorangegangenen Etappe konnte adäquat reagiert werden (Agilität).
Im laufenden Prozess wurde dann aber durch den Gesellschafter die strategische Zielrichtung geändert. Der Unternehmensteil sollte auf Grund der ersten Ergebniserwartungen vollständig in die beiden anderen Bereiche eingegliedert werden. Dieses auf den ersten Blick agile Vorgehen führt aber dazu, dass plötzlich Grundlegendes verändert wird, ohne dass die Ergebnisse der ersten Etappen abgewartet wurden. So eine Maßnahme ruft sofort den Widerstand auf den Plan, vor allem bei den Mitarbeitern, welche sich schon zu dem neuen Prozessen und Zielen bekannt hatten. Das Schlimme ist, dass der Widerstand nicht offensichtlich wirkte, sondern eine kurzfristige Marktveränderung scheinbar den Rückfall in alte Denkweisen und Strukturen ermöglichte. In den angestammten Märkten gab es einen Nachfrageboom und damit interessante und scheinbar lukrative Aufträge. Diese zum Anlass genommen führte praktisch zum Stillstand des Change Prozesses.
Die offene Frage ist, ob dieses Vorgehen nun Agilität bedeutet oder vielleicht doch nur einen Rückfall in alte Managementmethoden darstellt. Es wäre besser gewesen, auf dem Weg zum nächsten Etappenziel zu bleiben und dann nach Bewertung der Ergebnisse die Zielstellung zu ändern. Auch in Zeiten propagierter Agilität ist es wichtig für jedes Unternehmen, seine Zielstellungen nicht aus den Augen zu verlieren. Hier ist Stabilität in vernünftigen Rahmen sinnvoll. Agilität im Management richtig verstanden sollte in einer solchen Situation zum einen dazu führen, dass Ressourcen für lukrative Aufträge frei gemacht werden und trotzdem der einmal eingeschlagene Weg weiter verfolgt wird, wenn vielleicht auch etwas langsamer. Zum anderen bedeutet Agilität nicht willkürliche Veränderung, sondern zielgerichtetes Handeln unter Berücksichtigung sich ändernder Bedingungen. Diese hatten sich aber nicht wesentlich geändert.
Der Markt des Unternehmens hat sich plötzlich zu einem Angebotsmarkt entwickelt. Es ist absehbar, dass diese Situation nur kurzzeitig sein kann. Die Rahmenbedingungen, vor allem die im Unternehmen selbst, welche zur Entscheidung, neue Marktsegmente erobern zu wollen führten, haben sich nicht geändert. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass die Situation wie zu Beginn des Change Prozesses wieder auftritt. Das wird vermutlich wieder die gleichen Fragestellungen, wie zu Beginn des Change Prozesses aufwerfen.
Die offene Frage ist, ob dieses Vorgehen nun Agilität bedeutet oder vielleicht doch nur einen Rückfall in alte Managementmethoden darstellt. Es wäre besser gewesen, auf dem Weg zum nächsten Etappenziel zu bleiben und dann nach Bewertung der Ergebnisse die Zielstellung zu ändern. Auch in Zeiten propagierter Agilität ist es wichtig für jedes Unternehmen, seine Zielstellungen nicht aus den Augen zu verlieren. Hier ist Stabilität in vernünftigen Rahmen sinnvoll.
Agilität im Management richtig verstanden sollte in einer solchen Situation zum einen dazu führen, dass Ressourcen für lukrative Aufträge frei gemacht werden und trotzdem der einmal eingeschlagene Weg weiter verfolgt wird, wenn vielleicht auch etwas langsamer. Zum anderen bedeutet Agilität nicht willkürliche Veränderung, sondern zielgerichtetes Handeln unter Berücksichtigung sich ändernder Bedingungen. Diese hatten sich aber nicht wesentlich geändert.
Der Markt des Unternehmens hat sich plötzlich zu einem Angebotsmarkt entwickelt. Es ist absehbar, dass diese Situation nur kurzzeitig sein kann. Die Rahmenbedingungen, vor allem die im Unternehmen selbst, welche zur Entscheidung, neue Marktsegmente erobern zu wollen führten, haben sich nicht geändert. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass die Situation wie zu Beginn des Change Prozesses wieder auftritt. Das wird vermutlich wieder die gleichen Fragestellungen, wie zu Beginn des Change Prozesses aufwerfen.
Lessons Learned
Agiles Management ist eine Antwort auf die Herausforderungen im Zeitalter von Digitalisierung und Internationalisierung und die veränderten Arbeitswelten. Letzteres hat zu einer neuen Arbeitseinstellung bei den Mitarbeitern geführt. Vielfach reicht es nicht aus, sich als Teil einer großen Maschinerie zu sehen. Mitarbeiter wollen mitgestalten und Verantwortung übernehmen.
Agiles Management funktioniert nicht regelfrei. Regeln gelten für alle Beteiligten, also auch für das Management. Für den Erfolg ist es wichtig, klare und gut erreichbare Etappen zu definieren. Die Reaktion auf die Einzelergebnisse und äußere Einflüsse ist nach diesen kurzen „Sprints“ einfacher, als in der Erfüllung langer Maßnahme Pläne.
Permanent muss das Etappenziel bewertet und der nächste Schritt mit der Vision abgeglichen werden. In diesem Punkt muss das Management stabil und für alle verlässlich an der Zielerreichung festhalten. Strategische Ziele sollten nicht leichtfertig in Frage gestellt werden, nur weil kurzfristig sich Rahmenbedingungen verändern. Hier gilt, so stabil wie möglich, so agil, wie nötig!